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Sueddeutsche Zeitung 30.6.04
Opposition Baby
Junge Architekten erproben in Berlin Formen des Widerstands
Tobias Timm

Heute werden fast alle jungen Architekten von ganz ähnlichen Fragen umgetrieben: Sollen wir nach China auswandern und die Chance nützen, dort all das bauen zu können, was wir im Westen nie werden bauen können? Oder sollen wir uns in die Büros der gerade angesagten Architekten wanzen? Etwa beim großen Rem Koolhaas arbeiten, der einerseits mit Studenten in Harvard das Phänomen Shopping kritisch untersucht, andererseits mit seinem New Yorker Prada-Shop den bereits vorhandenen 772 350 000 Quadratmetern Verkaufsfläche in Amerika noch ein paar elegante Quadratmeter hinzugefügt hat.

Doch die über hundert zumeist jüngeren Architekten aus aller Welt, die sich am vergangenen Wochenende in Berlin trafen, stellten sich andere Fragen: Wie kann man im Bereich Architektur und Stadtplanung Widerstand leisten? Wie kritisiert man die kapitalistische Produktion von Räumen? Und wie sehen oppositionelle Formen des Entwerfens und Bauens aus? Die Herausgeber der Zeitschrift An Architektur hatten zu einem Camp für oppositionelle Architektur in ein stillgelegtes Fabrikgebäude im Wedding geladen, und das sonst recht trostlose Viertel, wo sich Läden für billige Wasserhähne, Handys und aufblasbare Gummipuppen aneinander reihen, wurde für einige Tage zum fröhlichen Zentrum einer politischen Aufbruchstimmung.

Nur zwei Prozent der Häuser in den USA werden mit Hilfe von Architekten gebaut, wusste Bryan Bell aus North Carolina zu berichten. Auch er selbst hatte im Büro von Steven Holl zunächst für die happyfew gearbeitet, die sich gute Architektur leisten können. Doch dann wandte er sich mit seinem eigenen "Design Corps " einer anderen Klientel zu: Für mexikanische Migranten entwarf er Häuser, die billig und dennoch human sind. Heute lehrt er Studenten das demokratische Entwerfen: In kleinen, armen Kommunen lernen sie zunächst das Zuhören, denn Architekten, so Bell, wüssten viel zu wenig über die Wünsche der Bewohner ihrer Bauten. Dann lernen die Studenten, mit Materialien zu improvisieren: So entstehen Gemeindezentren aus Erde, Alu-Dosen-Schindeln und den Fensterscheiben alter Polizeiautos.

Kein Zynismus, nirgends
Um Fragen der Partizipation im Entwurfsprozess, die Möglichkeiten einer "Open source"-Architektur und Strategien von Intervention und Subversion im Stadtraum ging es dann in zahlreichen kleinen Workshops. Deren Ergebnisse gerieten teilweise ein wenig naiv, vieles wurde nur angedacht. Doch das Erstaunliche war: Die Diskussionen verliefen nicht nach altbekannten Mustern, hier trafen nicht verbiesterte Profi-Alternativos auf sektiererische Linke. Erfrischend undogmatisch rang eine junge, recht pragmatische Generation aus Zagreb, Philadelphia und Malmö mit der Frage: Was tun? "Cynicism is over", fasste ein Architekt aus Los Angeles die Motivation zusammen.

Die Teilnehmer übernachteten in einer aus 7000 blauen Getränkekisten gebauten Schlaflandschaft, die mit echtem Rollrasen ausgelegt war und Terrassen und Hügel aufbot. Gegessen wurde unter freiem Himmel, und ihre Teller mussten sie in Plastik-Bottichen selber abwaschen. Die vielleicht etwas altmodisch anmutende Hippie-Atmosphäre gefiel den angereisten Hipstern, die Kommunenalltag bisher nur aus Fernsehdokumentationen kannten: Es wurde viel gelacht. In Gruppen saß man auf den Getränkekästen und zeigte sich auf den mitgebrachten Apple-Powerbooks die eigenen kleinen Projekte: Alejandro Duque aus Kolumbien erforscht die weiche Architektur von Internet-Funk-Netzwerken, John McGurk aus Providence, Rhode Island, berichtete von Kursen im urbanen Ackerbau und Patricio del Real aus Barcelona von informeller Architektur in Havanna.

Die spielerische Form und der Optimismus dieses gesellschaftskritischen Labors gefielen auch dem 75-jährigen Peter Marcuse. Der Columbia-Professor und Vordenker kritischer Stadtplanung rief in einem lässig-kämpferischen Vortrag zur Opposition gegen den destruktiven Kapitalismus der Gegenwart auf. Im Bereich der Architektur führe dieser zu einer immer fortschreitenden Kommerzialisierung der Städte: Architektur wie die von Frank Gehry gerate zu einem Logo, zu einer Ware, die man nicht wegen der Qualität der Gebäude, sondern aufgrund ihres Marktwerts kaufe. Dem müsse durch mehr Partizipationsmöglichkeiten der Bewohner an der Stadtplanung entgegengewirkt werden: so wie im Fall Ground Zero, wo eine große Bürgerversammlung die ursprünglichen Planungen der Architekten, Investoren und Stadtregierenden verhinderte. Als Imperativ allen architektonischen und planerischen Wirkens müsse wie bei den Ärzten gelten: Do no harm! Und: "Man kann nicht für McDonalds arbeiten und oppositionelle Architektur machen."

Die Teilnehmer schrieben sich das gleich in ihre vorläufige Charta - man will nun versuchen, den Aufbruchgeist zu organisieren, sich in Zukunft mit Theorien von radikaler Demokratie zu beschäftigen und Ernesto Laclau zu lesen. Übers Internet werden sie ein Netzwerk bilden und an der gemeinsamen Agenda weiterarbeiten. Und wenn sie sich nächstes Jahr alle in Glasgow wieder treffen, dann wollen die Architekten nicht nur kollektiv nachdenken und abwaschen, sondern auch etwas gemeinsam bauen. Ein internationales Zentrum für Kapitalismus-kritische Architektur zum Beispiel.